Lyon, Hügel des Lichts 2: Notre-Dame de Fourvière

Letzte Änderung 18. November 2023

Aufnahmedatum: 1. Oktober 2021

Im zweiten der beiden Beiträge über den Hügel des Lichts in Lyon geht es um die Entstehungsgeschichte, den Bau und die Bedeutung der Basilika Notre-Dame de Fourvière.

Kirchenstadt Lyon

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Kathedrale Saint-Jean vom Hügel Fourvière gesehen

Mit dem Zerfall der römischen Verwaltungsstrukturen und dem Untergang des weströmischen Reiches, übernahm die Kirche die Organisation der Verwaltung in Lyon. Bereits im 2. Jh. erhielt die Stadt den Bischofsitz und wurde im 3. Jh. Erzbistum. Am Ufer der Saône wurde der Sitz des Erzbischofs mit einer Vorgängerkirche der heutigen Kathedrale Saint-Jean errichtet, deren älteste gefundenen Gebäudereste aus dem 6. Jh. stammen. Bis zum 11. Jh. hatte sich Lyon zu einer weitgehend unabhängigen Stadt entwickelt, die von lokalen kirchlichen Kräften dominiert wurde.

Im Jahr 1079 wurde Lyon von Gregor VII. in der päpstlichen Bulle Antiqua sanctorum patrum zum Hauptsitz der Kirchen Galliens ernannt, wodurch die Stadt wieder größere überregionale Bedeutung erlangte. Bis heute wird der Erzbischof von Lyon traditionell zum Kardinal erhoben und leitet die katholische Kirche in Frankreich.

Kathedrale Saint-Jean

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Christus wird von Johannes getauft
Brunnen vor der Kathedrale

Mit dem Bau der heutigen Kathedrale Saint-Jean-Baptiste [deutsch: Johannes der Täufer] wurde 1165 auf den Fundamenten ihrer Vorgängerkirche begonnen. Bis zum Ende des 12. Jh. hatte man die unteren Teile der Apsis und ihre seitlichen Kapellen, bis zum Beginn des 13. Jh. das Hauptschiff und den unteren Teil des gotischen Portals fertiggestellt. Abgeschlossen wurde das Bauwerk im 15. Jh. mit den beiden Türmen. Bereits 1245 und 1274 fanden dort Konzile statt, das Erste und Zweite Konzil von Lyon.

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Mittelschiff und Apsis
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Kathedrale Saint-Jean

Thomas- und Marienkapelle

Auf den Ruinen des antiken Forums ließ Olivier de Chavannes, ein Kanoniker von Saint-Jean-Baptiste, (wahrscheinlich) Anfang der 1180er Jahre eine Marienkapelle bauen.

Ein neuer Tempel auf dem Boden des alten Forums.

Widmung der Kapelle aus dem Jahr 1872 [1]

Verehrung des Thomas

Die neue Kapelle wurde 1182 von Jean Bellesmains (ehemals: John of Canterbury), der gerade erst Erzbischof von Lyon geworden war, eingeweiht. Während Jean zuvor Bischof von Poitiers war, erhielt Thomas Beckett, der Erzbischof von Canterbury, von 1164 bis 1170 Asyl in der Abtei von Saint Colombe in Sens, nachdem er sich mit König Heinrich II. zerstritten hatte. Kaum war Thomas nach England zurückgekehrt, wurde er dort 1170 ermordet und bald darauf 1173 vom Papst heiliggesprochen. Sein Weggefährte John, der neue Erzbischof Jean von Lyon, weihte die Kapelle deshalb ihm und der Jungfrau Maria. So gewann die Verehrung des Heiligen Thomas zunächst die Oberhand über den Marienkult.

1192 wurde die Kapelle von Jean Bellesmains über eine Gründungsurkunde zur Stiftskirche erhoben.

Der Hügel Fourvière und seine Kapelle waren in den nächsten Jahrhunderten fortwährend in Unruhen verwickelt. 1269 kam es zu einem Aufstand der Lyoner gegen die Macht des Domkapitels, 1310 wurde die Stadt von französischen Truppen besetzt, 1348 wütete die Pest, ab 1360 kam es zu Plünderungen der Tard-Venus [deutsch: Nachzügler], Söldnerhorden, die nach dem Frieden von Brétigny arbeitslos geworden waren, und 1529 zu einem Aufstand der Armen.

Kapelle auf dem Fourviere 1820
Kapelle im Jahr 1820 [2]

Zeitweilig diente der Glockenturm der Kapelle als Beobachtungsposten, von dem aus der Turmwächter die Stadttore kontrollierte und die Uhrzeit verkündete. Nach den Verwüstungen der Lyoner Kirchen durch die Hugenotten unter der Führung des Baron des Adrets im Jahr 1562 lag die Kapelle auf dem Fourvière mehr als zwanzig Jahre lang in Trümmern.

Verehrung der Maria

In einer Pause der Religionskriege wurde sie 1586 wieder aufgebaut. Zu diesem Anlass wurde eine neue Statue der Jungfrau und des Kindes aus Birnbaumholz aufgestellt, die schnell dunkel wurde und unter dem Namen Notre-Dame de Bon Conseil als schwarze Madonna neu klassifiziert wurde [3]. Woher sie stammt ist nicht bekannt.

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Die Schwarze Madonna von Fourvière [4]

Von da an dominierte die Marienverehrung auf dem Fourvière. Die Bevölkerung von Lyon suchte Schutz bei der Mutter Gottes und es kam zu denkwürdigen Gelöbnissen.

1630 besuchte die kinderlose Anna von Österreich, Ehefrau König Ludwigs XIII., die Kapelle und betete dort zur Mutter Gottes, um einen Thronfolger zu gebären. Acht Jahre danach schenkte sie dem späteren König Ludwig XIV. das Leben und ihr Ehemann weihte das Königreich Frankreich der Jungfrau Maria. [5]

Nachdem Lyon zwischen 1631 und 1642 mehrmals von der Pest heimgesucht wurde, legten die Stadträte ein Gelübde ab. Sie versprachen der Jungfrau eine Goldmünze und weiße Kerzen zu schenken, wenn die Epidemie aufhörte. Tatsächlich kam die Pest einige Wochen später zum Erliegen. Am 8. September 1643, zum Fest Mariä Geburt, bestiegen die Stadträte unter Führung des Bürgermeisters den Hügel, um der Jungfrau Maria mit den versprochenen Gaben zu danken. Bis heute wird diese Prozession jedes Jahr am 8. September wiederholt, unabhängig von den religiösen oder philosophischen Überzeugungen oder der politischen Färbung der Amtsträger [6].

Vergoldete Marienstatue

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Modell der heutigen Kapellen

Mitte des 19. Jh. musste der Glockenturm der Kapelle wegen Baufälligkeit erneuert werden. Die Bauarbeiten, die ihn durch einen neuen mehrstöckigen Turm ersetzen, begannen 1849 und wurden 1852 mit der Installation einer 5,60 Meter hohen vergoldeten Marienstatue auf der Spitze abgeschlossen.

Sie wurde geschaffen vom Bildhauer Joseph-Hugues Fabisch, der den Wettbewerb für ihre Realisierung gewonnen hatte. Jean-Marie Bonnassieux, sein Freund und Hauptgegner, schlug 1860 mit einer 16 Meter hohen Marienstatue auf dem Rocher Corneille in Le Puy-en-Velay zurück. [7]

Das Fest der Lichter

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Durch ein Hochwasser im Atelier des Bildhauers Fabisch konnte die am 8. September geplante Einweihung der Statue nicht stattfinden und wurde auf den 8. Dezember 1852, den (bis dahin noch nicht offiziellen) Festtag der Unbefleckten Empfängnis Mariens, verschoben. Zunächst erwog man eine weitere Verschiebung auf den 12. Dezember, doch dann klarte der Himmel plötzlich am Nachmittag auf. Als Zeichen der Frömmigkeit zündeten die Einwohner Kerzen an und stellten sie auf Fensterbänke, „bis die Stadt ‚von der kleinsten Hütte bis zum prächtigsten Schloss‘ erleuchtet war“ [8]. Das war die Geburtsstunde des Lichterfest in Lyon.

1863 wurde Joseph-Hugues Fabisch mit der Marienstatue in der Grotte von Lourdes beauftragt. Er schuf sie nach den Vorgaben der heilige Bernadette, der die Mutter Gottes dort 1858 achtzehn Mal erschienen war.

Die Schwarze Madonna

Eine neue Statue der Notre-Dame de Fourvière wurde 1751 auf dem Hochaltar aufgestellt, um ein älteres Werk zu ersetzen, das während der Religionskriege zerstört worden war [9].

Die Madonna auf Fourvière musste in der Gunst der Gläubigen konkurrieren mit der Notre-Dame de France im 100 Kilometer südwestlich gelegenen Le-Puy-en-Velay, dem Ausgangspunkt des Via Podiensis [deutsch: Bergkuppenweg], einem der vier historischen Jakobswege in Frankreich. Bereits seit dem 10. Jh. zog jener Ort zahlreiche Jakobspilger auf ihrem Weg über die Pyrenäen nach Santiago de Compostela an. Dagegen spielte Lyon als Station auf dem Jakobsweg nie eine besondere Rolle [10].

Am 8. September 1900 wurde die Schwarze Madonna zusammen mit der Marienstatue in der Basilika Notre-Dame de Fourvière gekrönt [11].

Die Marienkapelle wurde 2007-2008 komplett restauriert [12].

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Notre-Dame de Fourvière

Erster Architekt: Pierre Bossan

Pierre Bossan Notre Dame de Fourviere
Notre-Dame de Fourvière
Entwurfszeichnung: Pierre Bossan [13]

Zur gleichen Zeit als der neue Glockenturm der Marienkirche mit der vergoldeten Statue auf der Spitze entstand, arbeitete der Architekt Pierre Bossan  (* 23. Juli 1814 in Lyon; † 23. Juli 1888 in La Ciotat) an den Plänen für eine monumentale Basilika Notre-Dame auf dem Fourvière.

Nach einem Studium in Paris kehrte er zurück nach Lyon, wo er 1839 Dombaumeister des Erzbistums Lyon wurde und dort einige neugotische Kirchenprojekte plante. Während einer Studienreise nach Süditalien im Jahr 1845 begeisterte er sich für byzantinische Kunst und Architektur. Zwar endete 1847 seine Stellung als Dombaumeister, doch in seinen nachfolgenden Bauaufträgen fand er seinen persönlichen, stark neobyzantinischen Stil. Als er Ende 1849 von einer zweiten Italienreise nach Lyon zurückkehrte, hatte er erste Entwürfe für die Basilika auf dem Fourvière vollendet, die zwar in der Bürgerschaft eine große Zustimmung fanden, aber vom Lyoner Kardinal De Bonald abgelehnt wurden. Schwierig erwies sich auch die Bereitstellung eines großen Baugrundstücks auf dem Fourvière. Erste Teilgrundstücke wurden über eine Lotterie und Spenden der Lyoner Einwohner erworben, die von einer Bürgerkommission zur Unterstützung des Bauprojektes organisiert wurden.

Aufgrund der Ablehnung durch den Kardinal, des fehlenden Baugrundes und finanzieller Probleme Bossans, übernahm er 1869 den Auftrag, das Dominikanerkloster Saint-Lazare und die dazugehörige Abteikirche Notre-Dame-du-Rosaire in Marseille zu entwerfen. Um jenem Bauprojekt näher zu sein, zog er von Lyon nach La Ciotat um.

Bossan starb 1888 in La Ciotat, noch vor der Einweihung und Fertigstellung der Notre-Dame de Fourvière. Er wurde auf dem alten Friedhof Cimetière de Loyasse in Lyon, etwa einen Kilometer westlich der Basilika, beigesetzt. Sein Herz aber ruht in der Basilika unter einer Marmorplatte:

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Unter diesem Marmor ruht sein Herz
SOUS CE MARBRE REPOSE SON COEUR

Zweiter Architekt: Sainte-Marie Perrin

1870 gab es plötzlich neuen Auftrieb für die Notre-Dame in Lyon. Kardinal De Bonald starb, die bürgerliche Kommission zum Erwerb des Baugrundstücks konnte die noch fehlenden Teile erwerben und es kam zu einem weiteren Gelübde.

Aus Angst vor einer Invasion durch die Preußen im Deutsch-Französische Krieg (1870-1871) gelobten die Bürger von Lyon, in Fourvières eine Basilika zu errichten, falls die Stadt verschont bliebe. Das von Tausenden Einwohnern unterzeichnete schriftliche Gelübde legte Erzbischof Ginoulhiac, der gerade ernannte Nachfolger De Bonalds, am 8. Oktober 1870 selbst auf dem Hochaltar der Marienkirche vor der Schwarzen Madonna nieder.

Nachdem die Preußen Lyon verschont hatten, sollte die Basilika nach den Entwürfen Bossans realisiert werden. Da er in Ciotat weiter mit dem Dominikanerkloster beschäftigt war, ernannte er 1871 den 21 Jahre jüngeren Architekten Louis Sainte-Marie Perrin zu seinem Stellvertreter für Fourvière, der die Bauleitung übernahm und als Architekt insbesondere für das Chorgestühl und die Innenausstattung verantwortlich war.

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Nach einjähriger Begutachtung durch einen Sachverständigen, musste Perrin zunächst den Entwurf von Bossan aus Kostengründen um 5% verkleinern, d.h. er musste die Maße in allen Plänen um 1/20 kürzen. 1872 konnte man mit der Ausschachtung für das Fundament beginnen. Im Jahr darauf legte Erzbischof Ginoulhiac in Erfüllung des Gelübdes den Grundstein für die Basilika Notre-Dame de Fourvière.

Mit dem ausgeschachteten Material, einer Mischung aus Gesteinsschutt und Erde, wurde der heutige Platz an der Nordseite der Basilika eingeebnet.

Von der Terrasse des Vorplatzes hat man eine fantastische Sicht auf die Innenstadt mit den beiden höchsten Gebäude von Lyon, den Tour Incity [franz.: La Gomme; deutsch: Radiergummi] mit 200 Meter und den Tour Part-Dieu [franz.: Le Crayon; deutsch: Bleistift] mit 170 Meter Höhe.

Nachdem Bossan 1888 in La Ciotat verstorben war, vollendete Perrin die Notre-Dame und andere nicht fertiggestellte Bauwerke Bossans, wie z.B. die Basilika St-Sixte im 25 km nördlich von Lyon gelegenen Wallfahrtsort Ars-sur-Formans.

Schloss mit vier Türmen

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Die Türme der Kraft und Gerechtigkeit an der Westseite

Pierre Bossan wollte die Basilika in Form eines Schlosses und einer Burgfestung errichten. Sie sollte ein Symbol für den Schutz Mariens über die Menschen in Lyon sein.

Dabei orientierte sich Bossan an den Marienvisionen der María von Ágreda (1602-1665), einer Visionärin und Äbtissin der Konzeptionistinnen, des Ordens von der Unbefleckten Empfängnis Mariens. Sie veröffentlichte sie auf etwa 2000 Seiten in acht Büchern, die in ihrer deutschen Ausgabe in vier Bänden unter dem Titel Leben der jungfräulichen Gottesmutter Maria. Geheimnisvolle Stadt Gottes erschienen sind [14]. Darin beschreibt sie „ein mystisches Schloss mit vier Türmen, die nach den göttlichen Tugenden benannt sind“ [15].

Deshalb besitzt die Basilika vier 48 Meter hohe, mit Zinnen versehenen achteckigen Ecktürme, die nach den Kardinaltugenden Marias benannt sind, die beiden Türme an der Westseite stehen für Kraft und Gerechtigkeit, die beiden an der Ostseite für Mäßigkeit und Besonnenheit.

Lageplan des Heiligtums auf Fourviere
Lageplan der Kirchen auf dem Fourvière [16]

Krypta des heiligen Josef

Wie im Mittelalter begann man nach der Fertigstellung des Fundaments mit dem Bau der Apsis, erst die Krypta im Untergeschoss und dann den Chor (Altarraum) im Erdgeschoss.

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Krypta des heiligen Josef [17]

Die Krypta ist dem heiligen Josef gewidmet. Auf dem Altar thront eine Statue des Heiligen mit dem Jesuskind auf dem rechten Arm. Die Skulptur unter dem Altar zeigt den sterbenden Josef.

Das Löwentor in der Apsis der Basilika war ursprünglich als Haupteingang für die Pilger vorgesehen, die dadurch in die Krypta der Basilika geführt werden sollten, nachdem sie ehrfürchtig über eine Treppe den Hügel erklommen hatten. Der geplante Krypta-Eingang wurde aus Sicherheitsgründen von Kardinal Caverot abgelehnt und auf seinen Wunsch in die Westfassade integriert.

Damit hatten die prächtige Apsis und die Krypta des heiligen Josef ihre ursprüngliche Bedeutung verloren. Die Pilger sollten die Basilika zunächst über einen Raum des Menschseins betreten, das durch Josefs Leben und Tod in der Krypta verkörpert wird, bevor sie das darüberliegende goldene Heim der Mutter Gottes betraten.

In der geführten Tour über das Dach wird dieser Aufstieg weiter geführt. Über eine Wendeltreppe im Turm der Gerechtigkeit gelangt man auf die Ebene des Heiligen Geistes unter dem Dachgewölbe. Von dort geht es über das Dach weiter zum Turm der Besonnenheit. Mit dem Erklimmen seiner Aussichtsplattform erreicht man schließlich die Ebene des Himmels mit seinen Engeln und Heiligen, vertreten durch die bronzene Michaelstatue und die vergoldeten Marienstatue.

Westfassade

Pierre Bossan war ein großer Verehrer Josefs, des Mannes der Jungfrau Maria. In der Westfassade wiederholt sich seine Wertschätzung im Motiv des geflügelten Löwen.

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Westfassade mit Krypta- und Haupteingang
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Das Giebeldreieck schließt die Westfassade nach oben ab. Es zeigt Maria mit dem Jesuskind in der Mitte, die von den schwebenden Erzengeln Rafael und Michael umrahmt werden. Links von Maria knien die Bürgervertreter der Baukommission, rechts von ihr die am Bau beteiligten Erzbischöfe. Sie erinnern an das Gelöbnis von 1870.

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Acht Engel, die symbolischen Wächter der Festung des Glaubens, tragen als robuste Karyatiden das Gewicht des massiven Giebeldreiecks. Hinter ihnen verläuft ein Gewölbedurchgang, der die beiden Türme auf der Westseite miteinander verbindet.

Die Engel wurden aus jeweils zwei Kalksteinblöcken von Paul-Emile Millefaut (1847-1907) geschaffen. Im Jahr 1863 trat er als Architektenschüler bei Pierre Bossan ein, der ihn zusammen mit Charles Dufraine (1827-1900) und Joseph-Hugues Fabisch (1812-1886), in Kunst und Architektur, unterrichtete. 1867 wechselte Millefaut von der Architektur zur Bildhauerei und folgte Bossan nach La Ciotat, wo er Gipsmodelle erschuf, die als Vorlage für die Skulpturen dienten, die von den Bildhauern auf dem Fourvière ausgearbeitet wurden. Nach dem Tod von Bossan kehrte Millefaut zurück nach Lyon, um dort seine Arbeiten zu vollenden.

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Unter den tragenden Engeln findet man die geflügelten Sinnbilder der vier Evangelisten, den Menschen des Lukas, den Löwen des Markus, den Stier des Matthäus und den Adler des Johannes.

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Über dem Haupteingang thront eine Madonna mit gefalteten Händen. Links und rechts von ihr wird sie von Gläubigen in Not um Hilfe angefleht .

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Der geflügelte Granitlöwe in der Mitte vor der Westfassade bewacht nicht nur den Haupteingang, sondern auch den Eingang zur Krypta, der sich darunter befindet.

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Der Löwe ist das Wahrzeichen des Stammes Juda, von dem Josef abstammt.

Himmlische Heerscharen

Die Fassade der Basilika ist auf allen Seiten umgeben von bewaffneten Engeln der himmlischen Heerscharen, die das Schloss der Maria verteidigen und ihre Tugenden symbolisieren, ebenso wie andere gefiederte Wesen des Himmels, wie z.B. Pelikane die Hingabe, Tauben die Mäßigung, Adler und Löwen die Stärke Marias.

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Bei einigen Skulpturen in der Fassade, wie z.B. bei den Pelikanen im obigen Bild, wundert man sich über ihren kubistischen Stil. Es sind jedoch unvollendete Figuren, die aus Kostengründen nicht mehr fertiggestellt werden konnten.

Die Rohblöcke der Skulpturen, auch wartende Steine genannt, sind integrale Bestandteile des Mauerwerks. Erst nach Fertigstellung des Rohbaus konnten die Bildhauer die Figuren daraus schlagen. Sie mussten ihre Arbeit von außen auf Gerüsten ausführen und waren der Witterung ausgesetzt, was oft eine große Belastung für sie war.

Heim aus Gold für Maria

Nach Bossans Tod im Jahr 1888 übernahm Saint-Marie Perrin die alleinige Leitung für das Bauprojekt. Da etwa zur gleichen Zeit einige führende Bildhauer und Mosaikleger starben, konnte die Basilika bis zum Zeitpunkt der Einweihung 1896 nicht fertiggestellt werden. An vielen Stellen der Fassade und im Kirchenraum waren lediglich die Rohblöcke platziert. Viele Mosaiken und Skulpturen, mit Ausnahme im Giebelbereich und im Altarraum, waren unvollendet.

Deshalb wurden die Wandverzierungen im Kirchenschiff und die Kirchenfenster größten Teils erst im 20. Jh. fertiggestellt. Viele neue Künstler, die Perrin für diese Arbeiten gewinnen konnte, kamen aus Paris. Durch den Einfluss lokaler Kleriker und Politiker entfernten sich die großen Wandmosaiken von den mystischen Bildern, die Bossan vorgegeben hatte. Jedoch wurde seine Vision eines Heimes aus Gold zu Ehren der Maria umgesetzt. [18]

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Kirchenschiff und Altarraum
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Wandmosaik: Das Konzil von Ephesos
Entwurf: Georges Décôte, 1910

Die Wandmosaike wurden aus Murano-Mosaiksteinen gefertigt, kleine Quadrate aus Glas, die entweder gefärbt oder mit sehr feinem Blattgold überzogen und durch eine Glasfolie geschützt waren.

Als Erfinder dieser Mosaiktechnik gilt der Industrielle Antonio Salviati (1816-1890) von der Inselgruppe Murano in der Lagune von Venedig. 1860 gründete er eine Glasfabrik, die ein neues, vereinfachtes Herstellungsverfahren für großflächige Mosaiken entwickelte und hochwertiges Mosaikmaterial in großen Stückzahlen anfertigten konnte. Seit der Weltausstellung 1867 in Paris war seine neuartige Mosaiktechnik in ganz Europa bekannt.

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Westliche Rückwand über dem Haupteingang

Die mit Gold verzierten Bordüren und Bögen und die goldenen Steine in den Wandmosaiken lassen den Kirchenraum in einem goldgelben Glanz erstrahlen. Im Kontrast dazu sind die Engel- und Vogelskulpturen weder bunt bemalt noch mit Gold verziert. Vielmehr gewinnen sie in dem glänzenden und prunkvollen Umfeld durch ihre Begrenzung und Schlichtheit an Kraft, Reinheit und Tugendhaftigkeit [19].

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Die weiße Taube ist seit der Antike ein Symbol des Heiligen Geistes und der Auferstehung. Sie ist ein Sinnbild der Genügsamkeit und Unschuld, der Liebe und Treue, wie auch der Freiheit und des Friedens.

Gewölbe der Dreifaltigen Maria

Die Motive, die Bossan für die Gestaltung der drei Kuppeln des Gewölbes wählte, sind wieder einmal auf die Mystik der María von Ágreda zurückzuführen und versinnbildlichen die Beziehungen der Jungfrau Maria zum Vater, Heiligen Geist und Sohn [20].

Anders als in den Mosaiken auf den Seitenwänden dominiert in den Deckenmosaiken die Farbe Blau des Himmels.

Die drei prächtigen Kuppeln in ihrer Reihenfolge von Ost nach West:

Auf dem Dach der Basilika

Die Fourvière Stiftung (franz.: Fondation Fourvière) bietet eine sehr empfehlenswerte geführte Tour über das Dach der Basilika an. Allerdings muss man 345 Stufen hinaufsteigen. Dafür erhält man die einmalige Gelegenheit, die Pracht der Innendekoration von der großen Galerie aus zu betrachten und von der Aussichtplattform des Turms der Besonnenheit eine fantastischen Aussicht auf die Stadt Lyon und ihr Umland, die bei klarem Wetter bis zum Mont Blanc reichen kann.

Ausgangspunkt ist der Eingang in den Turm der Gerechtigkeit rechts vom Haupteingang. Nach einer kurzen Begrüßung und Einführung erklimmt man die Stufen der Wendeltreppe, die an den zylindrischen Innenmauern befestigt ist.

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Von der Galerie in der westlichen Rückwand blickt man auf die glanzvolle Ausgestaltung des Gewölbes und des Chors, in dem sich gerade die kirchlichen Würdenträger versammelt haben.

Die Statue der Jungfrau Maria mit Kind scheint über dem Altar zu schweben. Der Prunk und Glanz, der sie umhüllt, steht im Kontrast zur schlichten, weißen Skulptur und verdeutlicht auf diese Weise Marias Reinheit, Unbeflecktheit, Makellosigkeit und Unschuld.

Erst im Jahr 1854 hatte die römisch-katholische Kirche das Dogma der Unbefleckten Empfängnis Mariens verkündet. Es besagt, dass die Empfängnis der Jungfrau Maria „makellos“ ist, d. h. frei von der Erbsünde, die seit Adam und Eva von allen Menschen geerbt wurde. Jenes Dogma ist nicht zu verwechseln mit der immerwährenden Jungfräulichkeit Marias vor, bei und nach Christi Geburt, das bereits 649 verkündet worden war.

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Die drei Kuppeln des Gewölbes unter dem Dach der Basilika

Im Dachgeschoß befindet sich eine Ausstellung mit Gipsfiguren, die als Modelle für die Steinskulpturen dienten. Die meisten von ihnen stammen von Paul-Emile Millefaut und wurden von La Ciotat nach Lyon befördert.

Oben im Turm der Gerechtigkeit befinden sich die 23 Glocken der Basilika. Sie schwingen nicht, sondern werden durch Klöppel angeschlagen, die automatisiert gesteuert werden. Sie läuten tagsüber zu jeder vollen Stunde und Viertelstunde sowie zum Angelus Gebet morgens, mittags und abends.

Glockenläuten der Basilika

Vom Turm der Gerechtigkeit führt ein Weg über die Südseite des Daches zur Kuppel der Apsis, um die man herum zum Turm Besonnheit mit der Aussichtsplattform gelangt.

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Treppe zur Aussichtsplattform im Turm der Besonnenheit
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Türme der Westseite
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Tour métallique de Fourvière

Der etwa 101 Meter hohe Metallturm (ohne Fernsehantenne 85,9 m) wurde von 1892 bis 1894 anlässlich der internationalen Ausstellung in Lyon im Jahr 1894 errichtet und zu Beginn der Ausstellung eingeweiht. Anfänglich befand sich im Erdgeschoß ein Restaurant und man konnte mit einem Aufzug auf die Aussichtsplattform in 80 Meter Höhe gelangen. Seit 1953 ist der Turm für die Öffentlichkeit nicht mehr zugänglich.

Bereits ohne Fernsehantenne überragte er die Türme der Basilika. Deshalb gilt er bis heute als demonstrative Herausforderung der katholisch-konservativen Kreise, die den Bau der Basilika unterstützten, durch die damalige republikanische Bürgerschaft. Aufgrund seiner Ähnlichkeit mit dem Eiffelturm gibt es das Gerücht, der Turm wäre nach Plänen von Gustave Eiffel erbaut worden.

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Französische Alpen
Radiergummi und Bleistift
Rhône
Saône und Kathedrale
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Heiliger Michel, der den Drachen tötet 
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Abstieg über die Wendeltreppe

Bronzene Michaelstatue

Nachdem Bossan seine Pläne einer vergoldeten Michaelstatue auf der Kuppel der Apsis vorgestellt hatte, gab es unter den Lyoner Bürgern einen Sturm der Entrüstung. Am Ende konnte sich der Architekt durchsetzen, jedoch einigte man sich darauf, die Michaelstatue nicht zu vergolden, wie die Marienstatue, sondern in Bronze auszuführen.

Die Statue des Heiligen Michel, der den Drachen tötet wurde von Paul-Émile Millefaut erschaffen, von der Gießerei Gayet, die zur gleichen Zeit mit der Freiheitsstatue für New York beschäftigt war, angefertigt und 1882 auf der Spitze des kegelförmigen Dachs der Apsis aufgestellt.

Über die Jahrhunderte war der keltische Gott Lugh, dem der Hügel lange vor der Ankunft der Römer geweiht war, in Vergessenheit geraten. Mit den zahlreichen römischen Überbauungen seit dem Jahr 43 v. Chr. waren seine Spuren auf dem Hügel verschollen und mit dem Untergang des römischen Reiches war auch der Kaiser verschwunden, auf den die Rolle des Lugh übertragen worden war.

Lughs Mutter Tailtiu dagegen lebte weiter, erst in Kybele und später in Maria, die aus den heidnischen Erdgöttinnen hervorgegangen war. Eine männliche Ergänzung, die wie ein Himmelsgott eine Erdgöttin vervollständigte, gab es nicht für Maria im Christentum. Die heidnischen Himmelsgötter lebten erst viel später weiter im Erzengel Michael.

Bossan mag gespürt oder gewusst haben, dass ein männliche Ergänzung für Maria fehlte, die es zu würdigen galt, denn er platzierte eine Michaelstatue aus Bronze neben die vergoldete Marienstatue. Mit Michael stellte er Maria nicht nur einen himmlischen Partner zur Seite, sondern mit ihrem Mann Josef, dem er die Krypta weihte, auch einen irdischen.

Indem Lugh in der Gestalt des Erzengel Michael weiterleben konnte, war ein Gleichgewicht zwischen den männlichen und weiblichen Kräften auf dem Hügel des Lichts wiederhergestellt.

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Fußnoten

[1] zitiert aus: Élisabeth Hardouin-Fugier: Fourvièr. Eine Basilika, die es zu entdecken gilt. Châtillon-sur-Chalaronne. 2008. S. 8.

[2] Bildquelle: Geneawiki: Fichier:69123 – Basilique Notre-Dame de Fourvière en 1820.jpg (Teilansicht)

[3] vgl. Patrick Berlier: Les Vierges Noires en Velay, Lyonnais, Forez et Pilat. März 2018. Besucht am: 31. Juli 2023 12:25 UTC

[4] Bildquelle einer alten Postkarte aus: Patrick Berlier. Datum unbekannt.

[5] vgl. Wikipédia: Chapelle Saint-Thomas de Lyon > Le vœu d’Anne d’Autriche. Letzte Änderung: 16. Mai 2023, 23:57 UTC

[6] vgl. Patrick Berlier

[7] vgl. Wikipédia: Chapelle Saint-Thomas de Lyon > La tradition des illuminations du 8 décembre. Letzte Änderung: 16. Mai 2023, 23:57 UTC

[8] zitiert nach: Élisabeth Hardouin-Fugier. S. 18.

[9] vgl. Marine Guillemain (Fondation Fourvière): La Chapelle de la Vierge. Besucht am: 31. Juli 2023, 12:21 UTC

[10] vgl. Élisabeth Hardouin-Fugier. S.8.

[11] vgl. Wikipedia: Jacques-Marie-Achille Ginoulhiac. Besucht am: 31. Juli 2023 12:23 UTC

[12] vgl. Marine Guillemain

[13] Bildquelle: Foto einer Entwurfszeichnung von Pierre Bossan in der Basilika vom ‎1. ‎Oktober ‎2021, ‏‎11:42 CET

[14] María von Ágreda: Leben der jungfräulichen Gottesmutter Maria. Geheimnisvolle Stadt Gottes. Band 1-4. Miriam Verlag. Jestetten. 6. Auflage 1992 (1. Januar 1954).

[15] zitiert aus: Élisabeth Hardouin-Fugier. S. 48.

[16] unter Verwendung und Übersetzung der Bildquelle: Geneawiki: Plan de Fourvière. Autor: JPG. Letzte Änderung: 29. Juli 2013, 10:15 CET. Lizenz: Creative Commons

[17] Bildquelle:  Wikimedia Commons. Autor: Chabe01. 21 September 2018, 16:13:31. Lizenz:  Creative Commons.

[18] vgl. Élisabeth Hardouin-Fugier. S. 41, 51f

[19] vgl. Élisabeth Hardouin-Fugier. S. 42

[20] vgl. Élisabeth Hardouin-Fugier. S. 50