Mont-Dol

Letzte Änderung 12. Januar 2024

Karte in Google Maps

Einst wanderte der Riese Gargantua durch die Bucht, als ihn ein Schuh drückte. Er zog ihn aus und drei Kieselsteine fielen heraus: Mont-Dol, Tombelaine und Mont Saint-Michel.

Eine Legende aus den Schriften des Scriptorial d’Avranches.

Welche Verbindungen gibt es zwischen jenen Felsenhügeln in und an der Bucht von Mont-Saint-Michel?

Der aus der Ebene herausragende Hügel Mont-Dol befindet sich in der Ortschaft Mont-Dol, etwa vier Kilometer nordöstlich von Dol-de-Bretagne, und hat eine verblüffende Ähnlichkeit mit St. Michael’s Mount und Mont-Saint-Michel.

Folgt man der D123 weiter, dann passiert man einen ehemaligen Steinbruch. Bis zum Jahr 1948 waren dort 160 Arbeiter mit der Abbruch von Granit, Hornfels und Dolerit beschäftigt. Zuletzt wurde das Gestein als Schotter für den Bau der Eisenbahnlinie von Rennes nach Saint-Malo verwendet. Eine Dolerit-Ader, die quer durch den Hügel verläuft, wurde von beiden Seiten abgebaut. Als der Mont-Dol in zwei Teile auseinander zu brechen drohte, wurde der Steinbruch stillgelegt.

Nachdem Steinbrucharbeiter im Jahr 1872 riesige Knochen ans Tageslicht gebracht hatten, die sie für Walfischknochen hielten, begann Simon Sirodot (1825-1903), ein naturwissenschaftlicher Dekan an der Universität Rennes, auf eigene Faust mit Ausgrabungen am Fuße des Hügels. Er entdeckte zahlreiche Knochen, Spuren von etwa fünfzig Mammuts, einem Dutzend Nashörnern, etwa fünfzig Pferden, Löwen, Hirschen und Ochsen sowie geschnitzte Feuersteine, mit denen Fleisch geschnitten und Felle bearbeitet wurden. Sirodot schrieb darüber: „Ich bezahlte den Besitzer dafür, dass er mir erlaubte, sein Gelände auszugraben. Sechs Jahre lang verbrachte ich meine Ferien damit, methodisch die Vorkommen antiker Knochen zu erforschen.“ Mithilfe der Funde konnte später nachgewiesen werden, dass der Hügel schon vor etwa 70.000 Jahren in der Altsteinzeit von Menschen besiedelt worden war.

Links vom Steinbruch führt eine Treppe auf den Hügel:

Oben angekommen hat man eine grandiose Aussicht auf das flache Umland mit seinen braunen Feldern, grünen Wiesen und Alleen. Das Land um Mont-Dol ist umgeben von Sümpfen. Auf der Nordseite, wo sich der Legende nach der Wald von Scissy befand, erstreckt sich bis zur Bucht ein weißer Sumpf aus marinen Sanden und hellt den Ackerboden auf. Der schwarze Sumpf auf der Südseite ist von Torfadern durchzogen und gibt dem Ackerland eine dunkle Tönung.

Zunächst gelangt man zu einer restaurierten Windmühle, eine der Attraktionen auf dem Mont-Dol. Die „Mühle des Hügels“ wurde 1843 erbaut. Ihr Turm wurde aus Granitsteinen gemauert. Eine weitere Mühle, die 1849 errichtet wurde, befindet sich in Privatbesitz und ist bewohnt.

Die beiden markantesten Gebäude auf dem Hügel stehen am nordöstlichen Rand der Kuppe, ein Turm mit einer Madonnenstatue auf der Spitze und daneben eine kleine Kapelle, die der heiligen Maria gewidmet ist: La Chapelle Notre Dame de l’Espérance [Unsere Liebe Frau der Hoffnung].

Das in blauen Grundtönen gestaltete Kirchenfenster der kleinen Kapelle mit einer der Darstellung „Unserer Lieben Frau der Hoffnung“, ist das Werk des Glasmachers Colin und stammt aus dem Jahr 1921. In ihrer rechten Hand hält Maria einen Anker und in ihrem linken Arm ruht das Jesuskind. Sie ist in einen dunkelblauen Mantel gehüllt und wird von neun Frauengestalten strahlenförmig umringt. Vor ihr knien ein Bauer, der ihr ein Bund Kornähren, und ein Seemann, der ihr ein Segelschiff entgegenhält. Sie erbitten Marias Segen für ihre Ernte, ihr Schiff und ihren Fang. Die Jahreszahlen 1914 und 1918 und die Inschrift am unteren Fensterrand erinnern an den Ersten Weltkrieg:

À Notre Dame de l’Espérance
Les Pélercins de La Grande Guerre

Für Unsere Liebe Frau der Hoffung
Die Pilger des Großen Krieges

In der Kapelle befindet sich auch eine Marienstatue mit Kind und Anker, ein Modell der Figur auf der Aussichtsplattform des Turms.

Die heutige Marienkapelle wurde errichtet auf den Grundmauern einer Michaelkapelle, die der Erzbischof von Dol, Hugues Le Roux, 1158 der Abtei Mont-Saint-Michel mit all ihren Nebengebäuden zur Errichtung eines Priorats übergeben hatte. Die Besitzübertragung der „capellam Sancti Michaelis supra montem Doli sitam cum universis pertinenciis suis“ wurde von Papst Alexander III in seiner Bulle vom 27. Januar 1179 bestätigt. Infolge wurde das Priorat Mont-Dol gegründet, das auch der kleine Mont-Saint-Michel genannt wurde. Offenbar hatte der Einfluss des Mont-Saint-Michel im 11. Jahrhundert nach der Eroberung Englands durch die Normannen im Jahr 1066 einen Höhepunkt erreicht. So wurde ihm nicht nur 1158 der Mont-Dol, sondern 24 Jahre zuvor 1134 der St. Michael’s Mount übertragen.

Schon vor der Französischen Revolution befand sich das Priorat auf dem Mont-Dol in einem erbärmlichen Zustand und 1778 wurde es ganz aufgegeben. Zehn Jahre später waren Kapelle und Nebengebäude völlig zerstört (siehe: Le culte de saint Michel dans les îles bretonnes).

Über den Ursprung der heutigen Marienkapelle, die auf den Ruinen einer Michaelkapelle erbaut wurde, gibt es bis heute keine verbrieften Quellen. Experten gehen davon aus, dass der Michaelkult erst Anfang des 7. Jahrhunderts Irland, England, Wales und den Norden Frankreichs erreicht hatte (siehe: The Revelatio Ecclesiae de Sancti Michaelis and the Mediterranean Origins of Mont St.-Michel). So ist es nicht auszuschließen, dass die erste christliche Kapelle auf dem Mont-Dol der heiligen Maria gewidmet war, bevor sie Michael geweiht wurde.

Die Christianisierung der Region Dol soll im 6. Jahrhundert durch den heiligen Samson (486-565) und seinen Cousin, den heiligen Maglorius (495–575), vorangetrieben worden sein. Die beiden wurden in Süd-Wales geboren und waren doppelte Cousins. Ihre Väter waren Brüder und ihre Mütter Schwestern aus einer adeligen Familie in Wales. Die Cousins erhielten eine klösterliche Ausbildung in der renommierten Klosterschule Illtud und wanderten später aus in die Heimat ihrer bretonischen Väter, um dort zu evangelisieren. Im heutigen Dol-de-Bretagne errichtete Samson 548 ein erstes christliches Kloster. Auf der Synode von Paris wurde er 560 zum ersten Bischof von Dol ernannt. Kurz vor seinem Tod im Jahr 565 übertrug er sein Bischofsamt auf Maglorius. Der aber gab 568 aufgrund seines hohen Alters von 70 Jahren bereits drei Jahre später das Amt an den heiligen Budoc (538-585) weiter.

Maglorius zog es vor, sich im Alter an einem einsamen Ort näher am Wasser niederzulassen. Es gibt die Vermutung, dass jener Ort der Mont-Dol war. Wie viele andere vergleichbare Hügel wäre er ideal für eine Einsiedelei, aber auch für den Standort einer ersten Kapelle gewesen. Möglicherweise war Maglorius ihr Erbauer.

Jedenfalls soll er nicht lange an seinem ersten Rückzugsort geblieben sein, da er sich aufgrund Maglorius Wunderheilungen bald zu einem viel besuchten Pilgerort entwickelte. So soll er u.a. einen Grafen von der Lepra geheilt haben, dem die Kanalinsel Jersey gehörte. Aus Dankbarkeit soll ihm der Graf erst die eine Hälfte und nach weiteren Wundern die gesamte Insel übertragen haben. Für den Heiligen aber war es die Gelegenheit, sich dem Rummel zu entziehen. Er siedelte um nach Jersey, wo er ein Kloster bauen ließ und 575 im hohen Alter von 80 Jahren starb.

Vielleicht geht die Bezeichnung „Dol“ auch auf die beiden Cousins aus Wales zurück. Das walisische Wort „dôl“ entspricht dem englischen Wort „meadow“, das im Deutschen auch mit „Aue“ übersetzt werden kann. Über das indogermanische *awjō, *agwjō (zum Wasser gehörig, mit dem Wasser in Verbindung stehend) sind „meadow“ und „Aue“ miteinander verwandt. Mont-Dol wäre dann nur eine andere Bezeichnung für einen Hügel im flachen Gelände am Wasser mit Wiesen und Wald.

Von der Plattform des Turmes „La Tour Notre Dame de l’Espérance“ hat man eine fantastische Aussicht. Man kann bis in die Bucht blicken und in der Ferne sogar den Mont-Saint-Michel erkennen. Der Turm wurde 1798 im Verlauf der Französischen Revolution aus den Trümmersteinen der einstmaligen Michaelkapelle und des dazugehörigen Priorats für einen optischen Telegrafen (Chappe-Telegraph) errichtet. Mit Stilllegung der Telegrafenleitung im Jahr 1854 ging er über in den Besitz der Gemeinde Mont-Dol. Drei Jahre später errichtete man auf Teilen der Grundmauern der einstigen Michaelkapelle die heutige Marienkapelle. Zeitgleich platzierte man auf dem ehemaligen Telegrafenturm eine monumentale Marienstatue, die mit der Kapelle zusammen am 13. Oktober 1857 eingeweiht wurde.

Vorchristliche Kulte auf dem Mont-Dol

Der Mont-Dol war sehr wahrscheinlich bereits vor dem Christentum von paganen Religionen als Kultort auserwählt worden. Auch dürfte er den Christen nicht kampflos überlassen worden sein. So gibt es eine Vielzahl von Legenden um den Mont-Dol über Wettkämpfe zwischen dem heiligen Michael und dem Teufel wie auch über Drachen, die von Samson und Maglorius getötet wurden. Es gibt jedoch bis heute keinen belastbaren Hinweis, welcher Kult vor dem Erscheinen der Christen dort praktiziert wurde.

Dafür gibt es umso mehr Spekulation. Sie wurden erstmals genährt, als man sich am Ende des 18. und zu Beginn des 19. Jahrhundertes für die Ruinen des Priorats und der Kapelle zu interessieren begann und zwei Altäre in der Kapelle fand, die sich bei näherer Untersuchung als äußerst ungewöhnlich erwiesen.

Die beiden Professoren François Rever (1753-1828) und René Leprince sowie der Rechtsantwalt Valentin Renoul waren die ersten, die 1778 die Kapelle in Augenschein nahmen. In einem Dokument aus dem Jahre 1804, das von zwei Stadträten der Gemeinde Dol bezeugt wurde, fasste Rever seine Untersuchungsergebnisse zusammen, deren Interpretation ihn noch viel Jahre danach beschäftigen sollte.

Der Grundriss der Michaelkapelle hatte demnach die Form eines orientierten Rechtecks, das sich 17,8 Meter von Ost nach West und 7,1 Meter von Nord nach Süd erstreckte. Das Schiff am westlichen Ende wurde durch einen Torbogen vom Chor abgeteilt. Südlich des Chores befand sich ein fast quadratischer Anbau von 6,7 Meter Seitenlänge. Die Wände der Grundmauern hatten eine Stärke von 0,65 Metern. Soweit nichts Überraschendes für eine Kapelle aus der Romanik. Die Aufregung war umso größer, als Rever die beiden Altäre (A,B) an der Ostseite untersuchte.

Sie bestanden aus Blöcken auf denen eine Granitplatte montiert war. Die eine (2,25 x 0,90 Meter) war mit 27 quadratischen Trichtern und die andere (1,95 x 0,50 Meter) mit 21 Trichtern durchbohrt, deren Trichter mit einem Kalk- und Sandmörtel verstopft worden waren, um die beiden Vorrichtungen als Altäre benutzen zu können. In den dahinterliegenden Außenwänden befanden sich Öffnungen. Es war offensichtlich, dass die bloßgelegten Altäre ursprünglich einen anderen Zweck gehabt haben mussten. Und die Frage, wozu sie dienten, beschäftigt noch heute die Gemüter.

Im Gebäude der Crêperie du Mont-Dol gibt es einen Ausstellungsraum, den die Stadtverwaltung zur Geschichte des Hügels eingerichtet hat. Auf einem Poster sind alle bisher diskutieren Hypothesen zusammengefasst:

Der Philologe François Rever, der Rhetorik und Theologie lehrte, dürfte mit antiken Kulturen, ihren Schriften und Kulten vertraut gewesen sein. Vielleicht musste er beim Anblick der Altäre an die blutige Zeremonie eines Taurobolium im Kybele- und Attiskult denken, so wie sie der christlich-spätantike Dichter Prudentius beschrieben hatte. Nach dessen Darstellung wurde ein Stier auf einem Gitter geschlachtet, das über eine Grube gelegt worden war. Darunter kauerten Initianden, die von dem Blut berieselt und auf diese Weise getauft wurden. Der Philologe Hugo Hepding (1878-1959) rekonstruierte später aus zahlreichen Quellen das Märzfest jenes Kultes. Auf dem Höhepunkt der Feierlichkeiten soll es zu einem regelrechten Blutrausch gekommen sein. Die Priester der Kybele sollen sich selbst mit scharfen Astragalen-Peitschen den Körper blutig geschlagen und sich mit Messern in Schulter und Arme geritzt haben, um ihr eigenes Blut als Opfer darzubringen. Vielleicht kannte Rever die Bedeutung dieser Peitschen im Kybele-Kult, in die Knöcheln von Schafen eingeflochten waren, als er eine Astragalus in der Verzierung auf der Vorderseite eines Altars entdeckte.

Jedenfalls reichten Rever diese Hinweise, um die beiden Altäre als Stieropferaltäre des Kybele-Kultes zu deuten. Gegen den Einwand, der Raum unter dem Gitter wäre zu klein für einen Erwachsenen, argumentierte er, dass dort entweder Kinder initiiert worden wären oder ein Erwachsener seinen Kopf von außerhalb des Gebäudes in den Hohlraum des Altars gehalten hätte.

Die Beschreibung des Taurobolium ist von dem Christen Prudentius sehr wahrscheinlich entweder frei erfunden oder bewusst verfälscht worden, um den Kybele-Kult zu diskreditieren. Die einzige rituelle Grube, die man 1947 glaubte, ausgegraben zu haben, den sogenannten Kybele-Kultkeller in Neuss, wurde spätestens 2001 entmystifiziert. Vielmehr wurden die kybelischen Stieropfer wie andere römische Tieropfer praktiziert und die zahlreichen Stieropfer-Altäre des Kultes, die man mittlerweile gefunden hat, sind den beiden Altären in Mont-Dol in keiner Weise ähnlich. Auch unter den zahlreichen ausgegrabenen Altären des Mithras-Kult findet man nichts Vergleichbares. Sie haben in der Regel eine säulenartige Gestalt.

Philippe Guigon, ein Archäologe von der Universität Rennes, kommt in einer Untersuchung des Michaelkultes in der Bretagne aus dem Jahr 2010 zum Ergebnis: Die gefundenen Altäre sind weder Kybele- noch Mithras-Altäre.

Gleich zu Anfang seines Artikels weist Guigon auch nach, dass der auf dem Mont-Dol verortete Taranis– bzw. Jupiter-Kult ebenfalls eine nicht belegbare Spekulation ist, deren Anhänger sich auf die Erwähnung eines Hügels mit dem Namen Mont-Jovis „a stagno quod est super verticem Montis Jovis“ in der Historia Britonum beziehen. Allerdings unterschlagen sie dabei einen Teich auf dem erwähnten Gipfel, den man vergeblich auf dem Mont-Dol sucht. Wahrscheinlicher handelt es sich um einen See auf dem Großen St. Bernhard mit der angrenzenden Anhöhe Mont Joux, wo sich heute noch eine gleichnamige Gaststätte befindet.

Was die ursprüngliche Funktion der Altäre betrifft, kommt Guignon zu einer überraschend profanen Hypothese. Im Vergleich zu bekannten Vorrichtungen, die ebenfalls mit verschiedenen Arten von Löchern und regelmäßigen Öffnungen perforiert sind, geht er eher von einer häuslichen oder handwerklichen Nutzung aus. Über eine Feuerstelle an der Außenseite des Gebäudes hätte Wärme durch die Wandöffnung in die Vorrichtung diffundieren können, um z.B. auf der Gitterplatte zu kochen, zu trocknen oder feuerfestes Salz (zur Erklärung siehe: Salzkraut und Pottasche) als Grundstoff für Seife herzustellen.

Warum ist eigentlich noch niemand auf die Idee gekommen, dass es sich um antike Heizkörper handeln könnte?