Die Labyrinthe von Pontevedra

Letzte Änderung 4. September 2023

Pontevedra 11
Ría de Pontevedra

Karte in Google Maps

Die ältesten Abbildungen von Labyrinthen in Europa stammen aus der frühen Bronzezeit (ca. 2.000 v. Chr.) und wurden als Petroglyphen an der Ría de Pontevedra entdeckt [1]. Die schmale, etwa 25 Kilometer lange und tief eingeschnittenen Meeresbucht ist eine von vier Fjorden der Rías Baixas [spanisch: Rías Bajas] im Südwesten der spanischen Region Galizien. Typisch für ihr Erscheinungsbild sind die zahlreichen Holzflöße zur Aufzucht von Miesmuscheln, von denen es heute noch mehr als 3.000 in den Rías Baixas gibt.

Petróglifos Outeiro do Cribo

Die Petroglyphen des Outeiro do Cribo (deutsch: Siebhügel) befinden sich am Nordufer der Ría de Pontevedra in der Nähe des Bergdorfes O Busto [2]. Die Navigation endet nach 400 Metern auf einem Schotterweg in einem Waldgebiet, über den der portugiesische Jakobusweg verläuft. Von dort aus führt auf der rechten Seite ein unscheinbarer Pfad auf den Hügel mit der felsigen Kuppe.

Rías Baixas

Nicht nur aufgrund der vielen Funde prähistorischer Felszeichnungen kann man auf eine sehr frühe Besiedlung der Region schließen. Die Meeresbuchten, die aus überfluteten Flusstälern hervorgegangen sind, waren ein idealer Lebensraum für die Menschen der Frühzeit. Die Fjorde waren reich an Meerestieren, Fischen, Muscheln und anderen Früchten des Meeres. Die flachen Ufer erlaubten Siedlungen am Wasser. Die Flüsse mit ihren lang gestreckten und geschützten Mündungsbuchten waren leicht zu befahrene Wasserstraßen und verbanden die Siedlungen miteinander, die am flachen Ufer entstehen konnten. Sie ermöglichten Verkehr und Handel. Holz zum Bauen und Heizen gab es reichlich aus den angrenzenden Wäldern und auf den gerodeten Flächen konnte sich Ackerbau entwickeln.

Ría de Pontevedra

Die Stadt Pontevedra, die der Ría ihren Namen verlieh, ist die größte Stadt an der Bucht und liegt an ihrem Ende an der Mündung des Río Lérez. Auf den Flussterrassen gefundene Äxte belegen, dass der Ort bereits in der frühen Altsteinzeit (600.000 bis 10.000 v. Chr.) besiedelt war. Einer Legende nach wurde er von Teukros, einem griechischen Helden des trojanischen Krieges, um 1200 v. Chr. gegründet. Belegt ist nur die Besiedlung des Ortes durch die Römer, den sie erst „Ad Duos Pontes“ (deutsch: zu den zwei Brücken) und später „Pontis Veteris“ (deutsch: alte Brücke) nannten, woraus sich Pontevedra entwickelte. Die mittelalterliche Brücke El puente del Burgo ist das Erbe einer römischen Brücke und heute das Wahrzeichen von Pontevedra.

Illa das Esculturas

Die Illa das Esculturas ist ein Park mit Steinskulpturen in Pontevedra, der 1999 auf einer Flussinsel des Río Lérez von den Architekten Rosa Olivares und Xosé Antón Castro angelegt wurde [4]. Zwölf Künstler waren eingeladen, Skulpturen aus Granit zu schaffen, die sich auf die Landschaft, die Tradition der Region, die Geschichte der Skulptur und des Materials, vor allem aber auf die Menschen und ihre Verbindung zur Natur beziehen.

Dazu zählt auch ein Labyrinth des Künstlers Robert Morris [19]. In einer Luftaufnahme sieht man, dass die Kontur seines Labyrinths nach dem Vorbild der Petroglyphen aus der Region gestaltet wurde [5].

Petróglifos de Mogor

Die Petróglifos de Mogor befinden sich auf einem Hügel am Südufer der Ría de Pontevedra unmittelbar oberhalb des herrlichen Sandstrandes von Mogor mit dem empfehlenswerten Restaurant El Merendero 2 [6]. Am Eingang des archäologischen Parks, der landschaftlich der ursprünglichen Umgebung nachgestaltet wurde, steht ein Informationszentrum. Im Unterschied zum Gebäude ist der Park rund um die Uhr geöffnet. Die Besucher werden über Wege und Laufstege durch die Anlage geführt, um die Ritzzeichnungen von oben anschauen zu können, ohne auf die Steine ​​treten zu müssen. 

Das kretische Labyrinth

Die Labyrinthe von Outeiro do Cribo und Mogor haben die gleiche Kontur. Sie wird nach ihrer Entdeckung auf Kreta als kretisches Labyrinth bezeichnet. Erstaunlicherweise hat man die gleiche Form nicht nur in Galizien und auf griechischen Silbermünzen, sondern auch auf Abbildungen aus allen Teilen der Welt gefunden [7][8]. Offenbar hat das kretische Labyrinth einen universellen Charakter.

Antike Labyrinth-Rituale

Im Géranos [deutsch: Kranichtanz], einem aus der Antike überlieferten Tanz aus Kreta, wurden zwei nach Geschlecht getrennt tanzende Reihen aus sieben jungen Frauen und sieben jungen Männern gebildet. Die Tanzenden jeder Gruppe hielten einander an den Händen, standen mit den Schultern parallel zur Tanzrichtung und wurden von den führenden Tänzern am Anfang der Reihen durch ein kretisches Labyrinth gezogen [9].

Eigentlich müßte jede Untersuchung über das Labyrinth von dem Tanz ausgehen.

Karl Kerényi [10]

Im Lusus Troiae (deutsch: Troja-Spiel), einem römischen Reiterritual, galoppierten drei Gruppen von je 12 jugendlichen Reitern, ähnlich wie im Kranichtanz, bewaffnet mit Lanzen durch ein kretisches Labyrinth. Es war kein Wettbewerb, sondern eine waghalsige Demonstration ihrer gemeinschaftlichen Fähigkeiten.

Géranos und Lusus Troiae beziehen sich auf den Mythos von der Heldenreise des Theseus, der selbst das Echo eines uralten Initiationsrituals ist (siehe auch: Das Labyrinth von Chartres).

Von der Spirale zum Labyrinth

Erforscher von Labyrinthen, wie Karl Kerényi und Gustav René Hocke, gehen davon aus, dass sich Labyrinthe in prähistorischen Zeiten aus Spiralen entwickelt haben [11]. Wir finden sie als eine Grundform der Schöpfung im Makrokosmos wie im Mikrokosmos: von Spiralnebeln in Galaxien über Hurrikane und Wasserwirbel bis hin zu Wachstumsformen lebender Organismen, wie z.B. in Sonnenblumen, Zapfen von Nadelbäumen, Farnen, Spinnennetzen, Schneckenhäusern und Schlangen. Menschen haben Spiralen seit Urzeiten beobachtet und Abbilder davon geschaffen. Man hat sie in alten Höhlenzeichnungen (20.000 v. Chr.) [12] und in Schmuck aus der Bronzezeit (ab 3000 v. Chr.) [13] gefunden. Sie sind überliefert in alten sakralen Tänzen [14][15], die in Spiralen getanzt werden. Wir können davon ausgehen, dass die Spirale für unsere Vorfahren eine kultische Bedeutung hatte.

Die Spirale bedeutet Leben und Tod nach allen Richtungen. Nach außen läuft sie in die Geburt, ins Leben und anschließend durch ein sich scheinbar Auflösen ins zu Große, in außerirdische, nicht mehr meßbare Bereiche.
Nach innen kondensiert sie sich durch Konzentration zum Leben und wird anschließend in unendlich kleinen Regionen wieder etwas, was wir als Tod bezeichnen, weil es sich unserer messenden Wahrnehmung entzieht.

Friedensreich Hundertwasser (1928-2000) [16]

Aus der Spirale entwickelte sich das kretische Labyrinth, das wie die Spirale genau einen Weg von Außen in die Mitte hat, auf dem es auch wieder verlassen werden kann. Das unterscheidet Spiralen und Labyrinthe von Irrgärten, die mehrere Wege zum Zentrum, mehrere Eingänge, aber auch Sackgassen haben können.

Steinspiralen und die daraus hervorgegangenen Labyrinthe könnten schon in der Frühzeit der Menschheit als Orte für Initiationen vom Jugendlichen zum Erwachsenen gedient haben [17]. Auf dem Hintergrund dokumentierter Übergangsrituale [englisch: rites of passage] und Ritualtänzen in Spiralen wird ein fiktives Initiationsritual in einer Steinspirale beschrieben [15] [18].

Ein fiktives Initiationsritual

Das Initiationsritual für einen jugendlichen Initianden beginnt mit einer Versammlung der Gemeinschaft um die Spirale. Der Initiand verlässt die Gemeinschaft und betritt von außen die Spirale, den Ort der Wandlung. Auf dem Weg in die Mitte lässt er sein kindliches Leben hinter sich. Die Gemeinschaft begleitet ihn von außen und beklagt unter Weinen und Wehklagen seinen Tod als Kind. Wenn er in der Mitte angekommen ist, wo sich der Wendepunkt befindet, verschwindet die Gemeinschaft.

Der Initiand bleibt alleine zurück, ist von nun an auf sich gestellt und muss in der Mitte ausharren, ohne zu wissen was passieren wird. Die Ältesten haben ihm versichert, dass er dort in Sicherheit sei, bis die Gemeinschaft ihn auffordere, die Spirale wieder zu verlassen und zurückzukehren. Egal, was auch um ihn herum geschehen mag, er soll im Zentrum der Spirale bleiben und auf keinen Fall über die heiligen Steine treten. Nur in der Mitte sei er geschützt. Wie lange wird es dauern? Nur eine Nacht oder mehrere Tage? Was wird geschehen? Kann er den Ältesten vertrauen? Das Wissen um das Ritual ist tabuisiert und wird geheim gehalten. Man sagt dem Initianden auch, dass er danach niemanden erzählen darf, was ihm passiert ist. Wenn er sein Schweigen breche, müsse er sterben.

In der Nacht kehren die Ältesten mit gruseligen Masken und Verkleidungen zurück und veranstalten ein Todesangst auslösendes Spektakel um die Spirale, ohne sie zu betreten. Sie umkreisen sie mit einem Höllenlärm und werfen mit Steinen und Speeren durch die Spirale, doch nie durch die Mitte. Sie ist der heilige Ort, der dem Initianden Schutz gewährt. Jedoch wird jeder Versuch, daraus auszubrechen, mit harten körperlichen Angriffen und Verletzungen erwidert. Dabei wird in Kauf genommen, dass der Initiand getötet oder verrückt werden könnte. Er muss im Labyrinth ausharren, so schrecklich und bedrohlich es auch um ihn herum zugehen mag. Nur in der Mitte ist er sicher wie im Auge eines Hurrikans. Eine Flucht bei Tage ist aussichtslos, denn die Wächter des Rituals halten sich versteckt, beobachten ihn und tauchen maskiert und drohend beim kleinsten Fluchtversuch sofort wieder auf.

Die überwältigende Angst hat Methode, denn sie überflutet das jugendliche Gehirn und löscht seine kindliche Angst. Sie wirkt wie ein Reset. Ein Mensch, der diese Prozedur überlebt, ohne verrückt zu werden, hat seine kindliche Angst überwunden. Ihn kann nichts mehr erschrecken. Vor allem aber hat er Selbstvertrauen und Vertrauen in die Ältesten gewonnen.

Am Ende eines gelungenen Rituals versammelt sich die Gemeinschaft erneut um das Labyrinth zu einem freudigen Willkommensfest und fordert den gewandelten Menschen in der Mitte auf, zurückzukehren. Den Weg aus der Spirale erlebt er wie eine triumphale Geburt und wird damit als neues Mitglied in den Kreis der Erwachsenen aufgenommen.

Quellenverzeichnis

[1] vgl.: Website: Labyrinthos

[2] siehe: Google Maps

[3] Bildquelle aus Wikimedia Commons: Pontevedra Capital Puente Burgo.jpg

[4] siehe: Google Maps

[5] Xosé Antón Castro Fernández: ROBERT MORRIS Y EL PRESENTE CONTÍNUO EN LA IMAGEN DEL LABERINTO DE PONTEVEDRA. Universidade de Vigo, 24. September 2013

[6] siehe: Google Maps,  Restaurant El Merendori 2

[7] siehe: Hermann Kern: Labyrinthe: Erscheinungsformen und Deutungen: 5000 Jahre Gegenwart eines Urbilds. Prestel-Verlag 1982

[8] Paul de Saint-Hilaire: L‘Univers secret du labyrinthe. Éditions Alphée 1992

[9] vgl.: Matthias J. Ulrich: Das ‚Kretische Labyrinth‘. In: Minotavros, 1. November 2011

[10] aus: Karl Kerény: Labyrinth-Studien. Aus der Reihe: Albae Vigiliae. Akademische Verlagsanstalt Pantheon. Amsterdam/Leipzig 1941. S. 44

[11] vgl.: Susanne Lilienfein: Labyrinthe: Herkunft und literarische Varianten. Düsseldorf Oktober 2007. S. 5. aus:  Mythos-Magazin. Hrsg: Prof. Dr. Peter Tepe, Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf.

[12] vgl.: Kate Ravilious: The Writing on the Cave Wall. 28. Februar 2010. Aus:Goddesschess

[13] vgl.: Julia Friedman: The History of Jewelry, from Ancient Mesopotamia to Today. 19. Februar 2019. in: Hyperallergic

[14] vgl.: Friedrich Mößinger: Baumtanz und Trojaburg. Erschieen in: D. Krüger (Hrsg.)(Autor): Tojaburgen: Herkunft und Bedeutung eines alteuropäischen Symbols. Forsite Verlag, 1. Januar 2018

[15] vgl.: Karl Kerény[1941], S.24ff

[16] aus: Hundertwasser Texte und Manifeste: Die Spirale

[17] vgl.: Bayern 2: Das Labyrinth. Initiation, Tod, Unterwelt und Wiedergeburt. 7. Dezember 2016

[18] vgl.: Labyrinth Lauchpad: Using the Labyrinth with Rites of passage, Ritual and Ceremony. aus: Labyrinth Launchpad

[19] Xosé Antón Castro Fernández: Robert Morris y el presente continuo en la imagen del Laberinto de Pontevedra. Universidade de Vigo. Data recepción: 2013/06/12 Data aceptación: 2013/09/24. Contacto autor: xacastro@uvigo.es