Atomkraft? Nein Danke!

Letzte Änderung 29. Dezember 2023

Erst mit der Bauplatzbesetzung des geplanten Atomkraftwerkes in Wyhl im Jahr 1974 gelangten die Risiken der Kernenergie in die deutschen Medien und somit ins Bewusstsein der deutschen Bevölkerung. Die Stimmung schlug um und eine Protestbewegung gegen die Kernkraft konnte sich sprunghaft in ganz Westdeutschland entwickeln. Dazu beigetragen hatte auch das gewaltsame Vorgehen der Sicherheitskräfte gegen Demonstranten und Bauplatzbesetzer.

Und es gab bereits damals Alternativen!

Bau des Atomkraftwerks Brokdorf

Im Oktober 1976 gab es in Brokdorf die erste Großdemonstration von Atomkraftgegnern [Brokdorf I] mit etwa 5000 Teilnehmern, von denen etwa 1000 versuchten den Bauplatz zu besetzen. Dieser Versuch wurde von der Polizei blutig zerschlagen, da Besetzer rücksichtslos in den Rasierklingen scharfen Nato-Stacheldraht getrieben wurden.

Die Empörung unter den Atomkraftgegnern war groß, so dass es einen Monat später im November 1977 zur zweiten Großdemonstration [Brokdorf II] kam, an der sich etwa 30.000 Menschen beteiligten. Das Kraftwerksgelände und der anliegende Ort der Demonstration wurden großräumig für Busse und Privat-Fahrzeuge abgesperrt, so dass die meisten Teilnehmer mehr als zehn Kilometer zu Fuß zurücklegen mussten. Die Baustelle war zur Festung ausgebaut worden und wurde von innen mit Wasserwerfern und Tränengas verteidigt. Jedoch wurden die Gaspatronen häufig zum Leidwesen der Polizei über den Bauzaun zurückgeworfen. Ganze Gruppen von Menschen rissen Leitplanken aus dem Straßenrand und bauten damit Brücken über die Wassergräben. Einige mit Gasmasken ausgerüstete Demonstranten ketteten sich mit dem Rücken zum Wasserstrahl in den Bauzaun und zerteilten ihn in aller Ruhe mit einem Seitenschneider. Andere warfen Anker in die abgeschnittenen Zaunelemente und rissen mit der Hilfe weiterer Gruppen die Teile zu Boden. Über dem Geschehen kreisten lautstark Hubschrauber und beschossen die Menge von oben mit Tränengas, so dass die Menschen auf der Flucht vor dem Reizgas auseinanderliefen. Viele Gruppen hatten Fahnen mitgebracht und waren damit nach einem Angriff in der Lage, sich wieder zu sammeln. Sanitäter unter den Demonstranten versorgten Verletzte und spülten gereizte Augen. Durchfroren und durchnässt machten sich die Demonstranten in Dämmerung und Dunkelheit auf den langen Rückweg zu den Bussen. Gruppen, die aus der Luft von Hubschraubern angegriffen oder gejagd wurden, erlebten den Rückzug als Horrortrip. Es war wie im Bürgerkrieg.

Anfang 1977 kam es durch eine Entscheidung des Verwaltungsgerichts Schleswig zu einem generellen Baustopp des Atomkraftwerks in Brokdorf. Im Februar 1977 demonstrierten 60.000 Menschen [Brokdorf III], 30.000 in Itzehoe und 30.000 in Brokdorf, gegen das Bauvorhaben.

Die Reisende Volkshochschule in Tvind

Das internationale Schulzentrum Tvind, in Deutschland damals auch bekannt unter dem Namen Die Reisende Volkshochschule, wurde 1973 von einer Gruppe junger Leute gegründet. Sie erwarben den alten Bauernhof „Tvind Gaarden“ bei Ringkøbing im nördlichen Jütland und bauten ihn zu einer Schule um. Nach dem Prinzip „Reisen und Lernen“ wurden ausgediente Busse gekauft, als Wohnmobile ausgebaut und Reisen mit Gruppen von Schülern nach Afrika, Amerika und Asien, z.B. nach Indien und Afghanistan unternommen. Durch Instandsetzung, Reparatur und Ausbau der Busse erwarben die Schüler handwerkliche Fertigkeiten. Sie lernten als Gruppe zu planen, wirtschaften, kochen und miteinander auf engem Raum Konflikte zu lösen. Die Fernreisen machten es nötig, Sprachen zu lernen und sich mit fremden Ländern, Kulturen und Gebräuchen vertraut zumachen.

Bau der Tvindmühle

In Folge der Ölkrise in den 70er Jahren und der damit verbundenen Energiediskussion beschäftigte man sich in Tvind schon früh mit der Gewinnung nachhaltiger Energie. Man entschied sich für die Erzeugung von Biogas und Windenergie. Kleine Gruppen machten sich auf den Weg zu Experten und Pionieren dieser neuen Technologien in ganz Europa, um von ihnen zu lernen.

Als Ergebnis ihrer Studienreisen wurde beschlossen, eine Windmühle mit drei Flügel zu bauen. Der 54 Meter hohe Turm sollte aus Stahlbeton errichtet werden und die Flügel aus Glasfaser verstärktem Kunststoff. Fast alle modernen Windmühlen basieren heute auf diesem Modell.

Da man mit den Bautechniken nicht vertraut war, machten sich wiederum kleine Gruppen auf den Weg zu Experten, um von ihnen zu lernen und Zertifikate zu erwerben. Getriebe, Generator und Hauptlager wurden gebraucht erworben. 1975 wurde mit dem Bau der Anlage begonnen. Baufirmen vor Ort halfen 1978 mit Kränen bei der Endmontage.

Freiwillige in Tvind

Für den Bau der Windmühle wurden per Zeitungs-Annonce Freiwillige aus Europa gesucht. Zahlreiche junge Menschen, vor allem aus Skandinavien, England und Deutschland folgten diesem Aufruf. Doch nicht jeder Freiwillige hatte die ehrenvolle Aufgabe beim Bau des Turmes, der Fertigung der Flügel oder bei der Konstruktion des Mühlenkopfes mitzuwirken. Es gab genug andere Aufgaben für alle Freiwillige. Man konnte mithelfen beim Bauen einer Biogas-Anlage, Pflanzen von Bäumen, Kochen, Spülen, Putzen und Aufräumen.

Tvindkraft

„Lasst 100 Mühlen blühen“ war das Motto der Tvindmühlen-Erbauer. Sie sollte Vorbild werden für die heutigen Windmühlen.

Am 26. März 1978 begann sie mit der Stromproduktion. Die in Tvindmühle war bis 1999 die größte Windkraftanlage der Welt. Heute trägt sie den Namen Tvindkraft und ist nach 45 Jahren und einigen Reparaturen und Erneuerungen immer noch in Betrieb. Ihre Erbauer gehen davon aus, dass sie noch weitere 45 Jahre Strom erzeugen wird. Sie liefert nicht nur nachhaltige Energie, sie selbst ist auch ein Beispiel nachhaltiger Technologie.

Tvindkraft – ein Pionier und Urgestein (2022)
(Untertitel in Englisch können im Vollbild eingestellt werden)